Prager Altstadt
Das ultimative Wahrzeichen Prags ist zweifelsohne die Karlsbrücke. An ihr führt - trotz aller Ambitionen die tschechische Hauptstadt auch abseits der ausgetretenen Pfade kennenzulernen - kein Weg vorbei. Wir sind am späteren Vormittag unterwegs, als wir sie von der Kleinseite Richtung Altstadt überqueren. Da es ein eher düsterer Tag ist und eventuell noch die Nachwehen der Corona-Krise zu spüren sind, hält sich das Besucheraufkommen tatsächlich in Grenzen. Das haben wir uns definitiv schlimmer vorgestellt.
Benannt ist die älteste erhaltene Prager Brücke nach Kaiser Karl IV. Das Besondere an ihr sind die zu beiden Seiten aufgestellten, insgesamt 30 Steinfiguren. Sie wurden dem Bauwerk als Brückenschmuck vor allem während des Barock nach und nach hinzugefügt und stellen durch und durch Heilige dar. An den Enden wird die Brücke vom Altstäter bzw. Kleinseitner Brückenturm flankiert, blickt man Richtung Kleinseite hat man auch den Hradschin sehr prominent im Hintergrund. Mit den Türme und Figuren bietet sich die Brücke als Bühne für viele - ziemlich gute - Straßenmusiker an. Obwohl bereits dicke Regenwolken über uns hängen, bleiben wir da gerne länger stehen, um zuzuhören.
Am östlichen Ende der Karlsbrücke beginnt die Prager Altstadt, die - im Gegensatz zur Brücke - mit ziemlichem Trubel und ordentlichen Touristenmassen aufwarten kann. Es ist vielleicht nicht so ein Geschiebe wie in der Prä-Corona-Ära, aber wird sind schon froh, es auf dem Altstädter Ring hinter uns lassen zu können.
Der Platz bildet das Herz der Altstadt und ist umgeben von unterschiedlichsten historischen Bauten. Besonders erwähnenswert ist das Altstädter Rathaus aus dem 14. Jahrhundert mit der wunderschönen astronomischen Uhr, an welcher sich zu jeder vollen Stunde die Figuren bewegen. Der Turm des Altstädter Rathauses kann bestiegen werden. Wir lassen das diesmal aus, aber Iris war mit einer Freundin zu Beginn des Jahrtausends schon mal dort oben. Sehr auffällig ist die gotische Teynkirche, die an der Ostseite des Altstädter Rings, vom Platz allerdings durch eine Häuserzeile getrennt, zu finden ist. Die 2 westseitigen Türme mit den extra spitz zulaufenden Kirchturmspitzen sind ein markantes Wahrzeichen Prags und ganz typisch für osteuropäische Gotteshäuser. In der Mitte des Platzes ist das monströse Denkmal für den böhmischen Reformator Jan Hus, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, nicht zu übersehen.
Im Laufe der Geschichte wurde der Altstädter Ring Schauplatz bedeutender historischer Ereignisse und auch heute noch ist dort allerhand los. Im Advent befindet sich hier ein riesiger Weihnachtsmarkt, es gibt Straßenmusiker, Touristengruppen, Protestkundgebungen und vieles mehr. An der Westseite des Platzes werden in einem kleinen Park an Holzbuden Eis, Langos und sogar Spanferkel vom Holzkohlengrill verkauft.
Wir kaufen uns dort leider nichts, da es doch tatsächlich zu regnen anfängt. Den Regenguss sitzen wir lieber in einem netten Innenhof-Lokal bei einem zweiten Frühstück aus. Danach machen wir uns auf in Richtung jüdisches Viertel. Franz Kafka weist uns den Weg.
Das jüdische Viertel in Prag war in seiner ursprünglichen Form ein Ghetto, ein abgeschlossener Stadtteil in dem seine Bewohner ausschließlich leben und arbeiten durften. Erst später, als die Juden das Bürgerrecht erhielten, durften sie sich auch jenseits des Ghettos niederlassen. Das zentrumsnahe Viertel ist heute wunderbar restauriert und es können dort viele Zeugnisse des jüdischen Lebens in Prag besichtigt werden. Wir schnitzen uns da selbst einen kleinen Rundgang zusammen, der uns an den wichtigsten Gebäuden vorbeiführt - Maisel-Syngaoge, Pinkas-Synagoge, Klausen-Synagoge mit der benachbarten Zeremonienhalle, Spanische Synaogoge und natürlich die Altneu-Synagoge. Letztere wurde bereits im 13. Jahrhundert errichtet, gilt als die älteste Synagoge Europas und wird auch heute noch von der Gemeinde als Gotteshaus genutzt. Der etwas eigenwillige Name rührt wohl daher, dass bei ihrem Bau die Überreste einer noch älteren Synagoge gefunden wurden, auf die dann die "neue" aufgesetzt wurde.
Gegenüber der Altneu-Synagoge befindet sich eine kulinarische Institution. Bei Trdelník werden die - wie es scheint in Osteuropa generell beliebten - Baumkuchen verkauft. Der Name des Geschäfts ist auch jener der aufgerollten Germteig-Köstlichkeit. Der Geruch ist wirklich betörend, so dass auch wir hier schwach werden. Eine Vielzahl an Füllungen und Toppings steht zur Auswahl, aber wir wählen einfach den Klassiker.
Tipp: Lokaltipp
Eine neuere Attraktion Prags ist der südlich der Altstadt auf einem kleinen Platz installierte Franz-Kafka-Kopf, eine bewegliche Skulptur des tschechischen Künstlers David Černý zu Ehren des bedeutenden Schriftstellers. Der mehrere Meter hohe Kopf Kafkas wurde hier sozusagen in Scheiben filetiert, welche sich unabhängig voneinander gegeneinander verdrehen lassen. Der exakte Bewegungsablauf der Platten kann dabei vom Künstler modifiziert werden und ist nicht immer gleich. In Anlehnung an Kafkas Verwandlung wird die Skulptur auch Metamorphose genannt.
Als wird dort sind und uns das Schauspiel eine Zeit lang ansehen, bemerkt Wolfgang, dass er in dem Haus gegenüber bereits mal in einem Airbnb-Apartement übernachtet hat. Allerdings gab es damals den Franz-Kafka-Kopf noch nicht.
Von der Metamorphose bewegen wir uns weiter Richtung Wenzelsplatz. In der Vodičkova kommen wir an einem außergewöhnlich schönen Geschäftshaus vorbei. Das sogenannte "Novak Haus" war eines der ersten Kaufhäuser Prags und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem bedeutenden und reichlich dekorierten Jugendstil-Bau umgearbeitet, der sich auch heute noch sehen lassen kann.
Nur ein paar Schritte weiter geht es rechterhand in die Lucerna-Passage, welche etwas später erbaut wurde und somit irgendwo im Graubereich zwischen Jugendstil und früher Moderne zu sehen ist. Hier gibt es einige schöne Geschäft und ein Kino, das zu den ältesten Europas zählt. Angeblich hat sich sogar Kafka hier einige Filme angesehen. Vor dem Kino hängt außerdem ein sehr skurriles Reiterdenkmal unter einer ausnehmend schönen Jugendstil-Glaskuppel. Die Wenzel-Statue zeigt den tschechischen Nationalheiligen der auf einem nach unten hängenden Pferd reitet, was als Parodie auf die klassische Reiterstatue auf dem Wenzelsplatz verstanden werden kann.
Den Wenzelsplatz mit seiner Circus Maximus-Geometrie finden wir im Gegensatz dazu nicht wahnsinnig berauschend. Es gibt zwar schon einige interessante Gebäude hier - wie zum Beispiel das Nationalmuseum - aber die vielen uncharmanten Läden und der Verkehr, der leider auf 2 Spuren über den Platz geführt wird, machen die Gesamtsituation unattraktiv. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß und so ziehen wir schnell weiter.
Wir verabschieden uns in die seitlich abgehende Jindřišská und laufen geradewegs auf den gotischen Heinrichsturm zu, ein wirklich schöner Glockenturm. Um die Ecke befindet sich die Jerusalemsynagoge, die wir uns wegen ihrer extravaganten, farbenprächtigen Fassade unbedingt ansehen möchten. Leider ist sie vom Gehsteig bis zum Dach eingerüstet. Ersatzweise setzen wir uns in das Café, das dem Edison Filmhub angeschlossen ist. Erfahrungsgemäß sind Kino-Lokale nie eine Enttäuschung, so auch diesmal nicht. Das klassisch moderne Gebäude des Arthouse-Cinemas sowie das Café sind beide ganz nach unserem Geschmack und für Kinder gibt es sogar portable Mini-Wuzzler zum Zeitvertreib.
Tipp: Edison Filmhub
Ein Stück weiter nördlich - wo wieder die klassische Prager Altstadt beginnt - befinden sich zwei weitere interessante Gebäude - der Pulverturm und das Prager Gemeindehaus, das auch Sitz des Prager Symphonieorchesters ist. Der spätgotische Turm und das Jugendstilgebäude bilden ein markantes Ensemble, das wir uns allerdings nicht genauer ansehen können, da uns bereits die nächste Gewitterwolke droht.
Start- und Endpunkt unseres Prag-Trips bildet der nicht uninteressante Prager Hauptbahnhof. Er ist ein recht eigenartiges Ensemble aus einem Jugendstilgebäude, das Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, und einer vorwiegend unter Niveau liegenden Erweiterung aus den 70er- Jahren, die dem Brutalismus zuzurechnen ist. Ergänzt werden die Abfertigungsgebäude durch eine Gleisüberdachung, die noch aus der Kaiserzeit stammt. Es ist schon lustig, wie man die bewegte Geschichte einer ganzen Stadt an einem einzigen Gebäude nachverfolgen kann und darüber hinaus noch einen Crash-Kurs in neuerer Architekturgeschichte bzw. Baustilkunde erhält. Der neueste Teil besitzt noch unverfälschten 70er-Jahre-Charme, was ja allgemein schon eine Seltenheit ist, und ein weiterer guter Grund, den Bahnhof mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Auch Yven findet hier sein persönliches Highlight. In der Halle gibt es eine Lego-Nachbildung des Prager Hauptbahnhofs, an dem durch Knöpfedrücken sogar einige Details bewegt werden können!