Zuckernasen, Graffiti & der Genter Altar
Unsere letzte City-Tour in Belgien führt uns in Begleitung unserer Freundin Vera nach Gent. Wieder fahren wir von Brüssel mit dem Zug dorthin und wieder ist es nur ein kurzer Hüpfer. Belgien ist echt toll mit dem Zug zu erkunden. Da der Bahnhof nicht ganz so zentral liegt, unternehmen wir einen flotten Fußmarsch in Richtung Innenstadt. Dabei kommen wir an ein paar beschaulichen Wasserkanälen vorbei, an deren Ufern es sich sicher gut leben lässt.
In der Innenstand angekommen befragen wir kurz das Internet und stellen fest, dass just in dem Moment und just an der Stelle, an der wir uns befinden, eine Free Walking Tour startet. Da wir in Brügge damit schon sehr erfolgreich waren, schließen wir uns auch hier gerne an. Los geht es auf dem Korenmarkt, wo sich einerseits der Haupteingang zur imposanten Sint Niklaaskerk befindet. Interessant ist aber auch das gegenüberliegende Gebäude, in dem einst das Postamt untergebracht war. Es ist wunderbar restauriert und heute befindet sich darin ein Luxus-Hotel samt Einkaufszentrum.
Vom weiter östlich liegenden Emile Braunplein sieht man gut das gotische Strebewerk und den Chorumgang der Sint Niklaaskerk. Außerdem liegt an diesem Platz der bereits von weitem sichtbare, mittelalterliche Belfried. Der Turm diente als Festungsturm und Geheimarchiv und bildet zusammen mit dem Turm der Sint Niklaaskerk und dem der noch weiter östlich liegenden Sint-Baafskathedraal die sogenannte Genter Dreiturmreihe, die in der Tat sehr auffällig ist.
Der Eingang zur Sint-Baafskathedraal liegt am gleichnamigen Sint-Baafsplein. Bekannt ist sie vor allem, da sie eines der bedeutendsten Werke der Kunstgeschichte beherbergt, den Genter Altar der Brüder van Eyck. Für diesen ist bei der Free Walking Tour keine Zeit, aber wir gehen danach nochmal hin und lassen uns das natürlich nicht entgehen. Der Flügelaltar ist in einem separaten Raum untergebracht, in den nur eine begrenzte Zahl an Besuchern eingelassen wird. Da generell nicht viele Touristen unterwegs sind, haben wir zur Abwechslung hier mal ganz viel Ruhe und Platz, um das Meisterwerk aus allen Blickwinkeln zu bestaunen und auch die Erklärung des Audioguides zu hören.
Die Free Walking Tour führt uns über die Sint-Michielsbrug ans westliche Ufer der Leie, genauer gesagt zur Korenlei. Der Student, der die Tour führt, hat hier besonders viel zu erzählen, und da er das auch sehr gut macht, hören wir - in der milden Herbstsonne stehend - gerne zu. Die denkmalgeschützten Giebelhäuser sind wirklich toll anzusehen und bilden eine perfekte Kulisse für die einladenden Uferzonen beidseits der Leie. Es gibt hier massenweise Cafés und auf dem Wasser tummeln sich viele kleine Ausflugsboote.
Eine besondere Geschichte gibt es zu dem Haus, in dem heute das Marriott-Hotel untergebracht ist. Auf seiner Fassade sind 2 Reliefs mit sich voneinander wegbewegenden Schwänen zu sehen. Der nach links schwimmende Schwan ist ein Symbol für "Frauen", der nach rechts schwimmende steht für "Alkohol". Unsere besonders schnell denkende Freundin Vera ist die erste in der Gruppe, die errät, welchem Zweck dieses Gebäude einst wohl diente. Dass es sich auch heute noch um ein Hotel handelt ist wohl Ironie der Geschichte.
Wir spazieren weiter nach Norden. Von der Vleehuisbrug bietet sich noch einmal ein besonders schöner Blick auf die Leie und die backsteinernen Genter Giebelhäuser. Unterwegs haben wir außerdem die Gelegenheit eine Genter Spezialität bei einem Straßenverkäufer zu erstehen. Die Cuberdons werden auch als "Genter Nasen" bezeichnet und eine gewisse Ähnlichkeit ist ihnen nicht abzusprechen. Die mit Gelee gefüllten Zuckerkegel sind jetzt nicht so ganz unser Fall, aber wir verkosten trotzdem mehrere Geschmacksrichtungen.
Als nächstes erreichen wir den Sint Veerleplein. Er wird stark dominiert von der Burg Gravensteen, wo zeitweilig die Grafen von Flandern residierten. Abgesehen davon wurde das Bauwerk auch als Gericht, Gefängnis und Textilfabrik genutzt. Der Platz selbst diente lange Zeit als Ort für Hinrichtungen, später als Gemüsemarkt. Besonders interessant - und so was erfährt man nur bei der Free Walking Tour - ist eine Kunstinstallation, die auf dem Platz (schwer) zu finden ist. Die hier installierten Straßenlaternen leuchten jedes Mal kurz auf, wenn in Gent ein Kind geboren wird. Sie sind direkt mit den Genter Entbindungsstationen verbunden. Was für eine eigenartig originelle Idee!
Weiter geht's entlang der Kraanlei, wo früher Lastkähne entladen wurden. Heute zählt die an der Leie entlangführende Straße aufgrund ihrer vielen historischen Gebäude zu den sehenswertesten in Gent. Besonders hervorzuheben ist das Haus der sieben Werke der Barmherzigkeit aus dem 17. Jahrhundert. Die reich dekorierte Fassade besitzt 6 Flachreliefs, die 6 der 7 körperlichen Werke der Barmherzigkeit darstellen, darunter etwa "Hungrige füttern", "den Kranken helfen" und "Tote begraben". Das siebte Werk der Barmherzigkeit - Begrüßung der Pilger - wird durch das Haus selbst dargestellt, da es ursprünglich als Gasthaus diente.
Auf dem Vrijdagmarkt findet - wie der Name schon vermuten lässt - am Freitag und Samstag ein Wochenmarkt statt. In früherer Zeit wurde der Platz auch für Feste und Empfänge genutzt und 1863 fand dort die letzte öffentliche Hinrichtung statt. Es gibt nur ein Gebäude auf dem Platz, das zu dieser Zeit schon bestand, Het Toreken, das "kleine Türmchen" aus dem 15. Jahrhundert mit seinem auffallenden runden Eckturm. Heute ist darin das Poesiezentrum untergebracht. Die übrigen Gebäude auf dem Platz wurden erst ab dem 19. Jahrhundert errichtet.
In der Mitte des Vrijdagmarkts befindet sich das Standbild Jacob van Arteveldes. Der Genter Volksheld schaffte es, während des 100-jährigen Kriegs eine Art Woll-Handelsembargo, dem Flandern durch die Briten unterworfen war, aufzuheben und rettete somit die Genter Tuchindustrie. Aus diesem Grund zeigt seine rechte Hand auch Richtung England.
Abschließend führt uns die Free Walking Tour durch die Graffiti-Gasse. Gent ist generell eine offene, trendige Kulturstadt und so ist es nicht verwunderlich, dass auch die Sprühkunst hier den ihr angemessenen Platz bekommt. Die Wände sind nach wie vor zur Bearbeitung freigegeben und so verändert die Graffiti-Gasse immer mal wieder ihr Erscheinungsbild, was ein schöner Aspekt der Street Art ist.


